Teil 2
Ich bin durch...
glaub ich. Alles sieht gleich aus, ich kann keinen Unterschied
ausmachen. Doch als ich zurückblicke, sehe ich einen Teil des
Astes, den ich in den matschigen Boden gerammt habe. Wo wir schon
beim matschigen Boden sind... ich bin nass, dreckig und stinke
absolut widerlich. Ich stehe auf... von da oben ist das Fenster
nicht zu sehen, und wenn man von weiter weg kommt, sind der hohe
Farn und der Erdhügel da im Weg. Wie soll ich da je wieder
zurück kommen? Zuerst suche ich mir auch in dieser Welt einen
Ast, stecke ihn in den Boden. Doch ich denke nicht, dass das reichen
wird... aber ich habe ja noch das Messer. Ich gehe zu den Bäumen
rings um das Fenster und ritze in alle rundum einen etwa 1cm breiten
Ring in Brusthöhe. Wenn ich lang genug suche, dürfte ich
das wiederfinden. Doch nun das nächste Problem... wohin jetzt?
Ich hab echt null Orientierungssinn, für was hat man denn
Freunde? Aber hier bin ich allein, niemand, der sich auskennt... nur
ich.
Ich hab mich
entschieden, ich gehe als gerade aus, also wenn ich aus dem Fenster
raus bin, so halt... na ja, gerade aus eben. Der Weg ist relativ
eben, ich bin am Rande eines steilen Abhanges, wie der, den ich
runtergerutscht bin. Wenn mir das früher aufgefallen wäre,
hätte ich mir das Geschnitze ja fast sparen können.
Ob mich meine
Mutter schon sucht?
Wie schon gesagt,
der Boden ist eben, es ist auch nichts zugewachsen, ich komme gut
voran. Da fällt mir auf, ich habe durst, ich hatte heute erst
ein Glas Leitungswasser, dann sind wir schon los, und jetzt geht es
bestimmt schon auf Mittag zu.
Hunger? Nein,
seltsamerweise nicht. Dafür um so mehr durst... gibt es hier
keine Quellen?
Der Boden hat
feuchte Stellen, aber... ich werde die Augen offen halten, aber ich
muss weiter, will raus aus dem Wald. Mein Vater sagte einmal, wenn
ich mich verirren sollte, müsste ich nur als bergab gehen. Das
Problem: hier ist alles eben. Na ja, dann finde ich um so leichter
das Fenster wieder.
Ob sie mich schon
sucht? Was sie wohl denkt? Ob meine Mutter überhaupt schon
bemerkt hat, dass ich nicht da bin?
Ich habe, wie
schon gesagt, keine Uhr, habe keine Ahnung, wie viel Zeit ich
bereits in dieser Welt verbracht habe... in dieser neuen Welt, die
bisher exakt genauso aussieht, wie die, aus der ich komme.
Ich bin immer
noch nass und schmutzig, ein weiterer Grund, warum ich aus dem Wald
will... hier ist es verdammt schattig, ich friere. Ob es hier
überall kühler ist? In unserem Wald habe ich noch
geschwitzt, aber... da war ich ja auch noch trocken.
Soll ich
umkehren, zurückgehen? Nachts hierher zurückschleichen?
Mit Essen, Kleidung, was weiß ich... Rucksack? Oder das
Fenster vergessen? Nein, das geht nicht, ich wohn zu weit entfernt,
und... vergessen? Ich habe mein halbes Leben geträumt, ein
solches Fenster zu finden, hab mich mit der Zeit immer weiter in den
Glauben hineingesteigert, dass es sie gibt, und nun finde ich die
Bestätigung... oder bin ich bloß verrückt? Bin ich
noch in unserem Wald? Er sieht ja nicht gerade anders aus, und...
war da wirklich ein Fenster? Ich versuche, mich zu erinnern,
versuche, dem Drang zu wiederstehen, den Weg zurückzugehen, und
nachzuschauen.
Denk nach! Es ist
etwa anders! Aber was? Schau dich um! Denk daran, wie du das Fenster
wiederfinden willst!
Berge, genau!
Daheim gibt es keine solch großen ebenen Flächen, ich
muss irgendwo anders gelandet sein.
Hab ich
eigentlich ne gespaltene Persönlichkeit? Oder ist das nur das
Rumgespinne einer pubertierenden Fünfzehnjährigen? Oder
ist es vielleicht mein Dæmon? Ähm... ich denk, es ist das
Rumgespinne, beantworte ich mir mal so...
Ich werde immer
langsamer, wenn ich so viel denke, ich sollte mich beeilen... dann
wird mir auch wärmer.
Da, etwas gelbes
neben mir...ein Pfifferling? Ja. Ich nehme ihn besser mit, ich weiß
zwar nicht, ob man die auch roh essen kann, aber vielleicht treffe
ich ja auf Leute, die meine Pilze eintauschen wollen. Ich glaub, ich
denk wieder zu viel...
Na ja, ich achte
jetzt wider mehr auf den Boden und ernte Pfifferlinge ab, mit
Fliegenpilzen die einzige Pilzart, die ich bestimmen kann. Ach ne,
den Parasol kenn ich noch, den Schnitzelpilz. Den paniert man, brät
ihn in der Pfanne an, und... na ja, schmeckt echt wie Schnitzel.
Hab ich schon mal
erwähnt, dass ich zu viel denke? Allein sein tut mir nicht gut,
ich glaub, ich werd irr...
So langsam
bekomme ich auch Hunger, hab ich gestern Abend eigentlich was
gegessen? Ich glaube nicht...
Ich laufe
schneller, dieser scheiß Wald nervt! Warte mal... sind das
Brombeeren? Wird zwar nicht sonderlich sättigen, ich werd
Fuchsbandwurm bekommen... egal.
Ich habe in der
Zwischenzeit beschlossen, dass diese Welt von den Tieren und
Pflanzen her genauso aussehen muss, wie die unsere, denn wenn ein
Wesen durch das Fenster gekommen wäre, oder ein Same
hindurchgeflogen wäre... aber unser Wald ist stinknormal.
Mein Gedenke
nervt mich echt... kann man da eigentlich was dagegen machen? Ja,
reden... mit anderen Leuten. Oder singen... ich hab beschlossen,
niemals freiwillig zu singen, warum eigentlich? Vielleicht aus
Angst, so schräge Töne auszustoßen, wie meine
Cousine? Aber sie stört es ja auch nicht, und ich hab's ihr
schon so oft gesagt... Ich vermiss sie, sie ist jetzt schon seit
einer Woche im Urlaub. Na ja, dann merkt wenigstens sie nicht, dass
ich weg bin.
Meine Arme sind
jetzt verstochen, von dem kleinen Appetithappen hab ich noch viel
mehr Hunger bekommen... Durst gelöscht haben sie auch nicht
gerade.
Also, weiter
geht's... weiter mit meinen wirren Gedanken. Soll ich doch was
singen? Aber was? Ich kenn doch gar keins auswendig... na ja, alle
meine Entchen oder so... Den Gedanken sollte ich besser wieder
vergessen.
Mach ich jetzt
auch ganz schnell... hör ich da was plätschern? Wasser?
Schnell mal nachschauen, ich renne sogar, das muss man sich mal
vorstellen, ICH RENNE! Ich muss wirklich am Verdursten sein.
Das Wasser fliest
relativ schnell, sieht auch klar aus... zuerst drink ich, soviel ich
kann, dann wasch ich meine Kleider... ich erfrier hier, ich sitz
hier halbnackt im schattigen Wald und wasche mich in eisigem
Gebirgsquellwasser... Gebirgs? ähm.. hier ist doch alles eben.
Ich schaue mich um... ein Abhang wie der, den ich runtergerutscht
bin. Die Landschaft scheint stufenförmig zu sein, denn unten am
Abhang ist wieder alles eben... ein Flüsschen fließt
durch den Wald, von dieser Quelle ausgehend.
Ich wringe meine
Kleider aus und ziehe sie an... sie kleben feucht an meiner Haut.
Soll ich gleich weiter? Ja, sonst erfrier ich noch, jetzt halte ich
mich am Bach.
Aber... wenn ich
diesen Abhang runterrutsche, bin ich doch wieder genauso
schlammig... na toll, wenn ich mal denken sollte, tu ich's nicht.
Ich rutsche also
wieder den Abhang hinunter, jetzt sind nicht nur meine Kleider voll,
sondern auch mich hat's erwischt. Ich wasch mich wieder, wenn ich an
eine wärmere Stelle komm... in dieses eisige Wasser will ich
jetzt nicht grad ganz rein.
Ich beschließe
zu rennen, da ich wirklich das Gefühl habe, zu erfrieren.
War wohl ein
Fehler... Seitenstechen! Ich lasse mich auf den Boden fallen und
bleibe erst mal einfach liegen. Ich merke, wie sehr mir meine Beine
wehtun, und meine Füße erst.... ich glaube, ich bekomme
Blasen. Na ja, ich friere wenigstens nicht mehr. Ich ziehe Schuhe
und Socken aus und schleppe mich bis zum Bach... irgendwie ist da
jetzt viel mehr Wasser drin, als am Anfang, er sieht sogar
einigermaßen tief aus. Er ist auch nicht mehr so eisig, eher
angenehm kühl. Da meine Kleider immer noch an mir kleben, und
ich keinen Bock mehr habe, zu laufen, geh ich ganz in den Bach...
mit den Kleidern an und beladen mit einem Paar Wanderschuhen, einer
Tüte mit Pilzen und einem Messer, welches ich, nach einigem
Überlegen zu den Pilzen stopfe. Ich schwimme ein wenig den Bach
entlang, lasse mich hin und wieder treiben... ich glaube, ich komme
so fast schneller voran.
Bald lichtet sich
der Wald rings um mich, die Strömung wird stärker, in der
Ferne vernehme ich ein Rauschen...
Ein Rauschen?
Wenn hier wirklich so stufenförmig angelegt ist... ein
Wasserfall! Panisch schwimme ich an den Rand und versuche mich
hochzuziehen, was nicht gerade leicht ist, da meine ganze Ladung an
der Luft wieder an Gewicht zunimmt.
Na toll... Da
waren wohl ein paar Brennnesseln. Aber ins Wasser traue ich mich
wirklich nicht mehr.
Ich verfluche
mich innerlich...Das Rauschen war doch so leise, warum war ich so
hastig... 10 min später erst bin ich beim Wasserfall
angekommen. Unten hat sich durch den Aufprall ein tiefer See
gebildet... da die Brennnesselstiche immer noch schmerzen,
beschließe ich, wieder auf Schwimmen umzusteigen. Dieses Mal
komme ich leichter den Abhang herunter, es ist ein kleines Wegchen
angelegt worden. Na ja, wäre auch unlogisch, wenn das Fenster
in eine völlig leere Welt führen würde. Aber warum
ist es wohl so abseits angelegt?
Ich bin gespannt,
ob ich bald auf Leute treffen werde.
Na ja, zuerst mal
wieder zurück ins Wasser.
Ich bade kurz und
lege mich dann an den Rand, um mich durch die Sonne ein wenig wärmen
zu lassen... Hier sind überall große Felsen, auf einem
solchen habe ich mich niedergelassen, auch meine ach so vielen
Sachen liegen da. Ich liege auf dem Bauch... eigentlich hasse ich
die Sonne, und ich kann darauf verzichten, dass sie in mein Gesicht
scheint.
Ich glaube, ich
bin kurz eingeschlafen, denn als ich eben die Augen geöffnet
habe, war alles so dunkel, ich glaube es dämmert schon. Ich
denke, ich gehe weiter, bis ich einen Schlafplatz finde. Um
zurückzugehen, ist der Weg zu weit.
Trocken gehe ich
also weiter, die Schuhe hab ich mir über die Schultern gehängt,
die Tasche mit den Pilzen hab ich in der Hand... Eigentlich könnte
ich sie ja fast wegschmeißen, das
Baden-Trocknen-Baden-Trocknen hat ihnen nicht gerade gut getan.
Ich hab sie
weggeschmissen, hab jetzt nur noch die Stofftüte und das
Messer... und die Schuhe natürlich.
Ich gehe jetzt
auf einer Wiese, immer noch ist alles eben, aber... ich denke, ich
wandere noch weiter, schlafen trau ich mich hier eh nicht, und da
ich erst geschlafen hab, bin ich noch recht fit.
Der Mond scheint
hell durch die Wolkenecke, ich denke, er ist bald voll... oder war
es schon. Ich bin froh, dass kein klarer Sternenhimmel ist, so ist
es ein wenig wärmer, ich renn hier schließlich im T-Shirt
rum.
Ich glaub das ist
der erste Tag seit.... langem auf jeden Fall, dass ich weder im
Internet war, noch ferngesehen hab... ich bin gespannt, wie weit die
Leute hier technisch so sind, ob es hier überhaupt Leute
gibt... ich geh hier jetzt schon bald einen ganzen Tag, und bisher
bin ich nur an unbewohnten Landschaften vorbeigekommen. Aber der
Fußweg...
Wie
soll ich eigentlich jemals wieder zurückfinden? Ich bin so
schrecklich weit von zu Hause entfernt...